was in einer Nacht alles passieren kann, da reichen schon ganz normale Sommerferiennächte.
Noch erstaunlicher ist, was passiert, wenn man eine ganze Nacht wach ist.
Und ganz und gar bemerkenswerte Dinge passieren,
wenn ich eine Nacht wach bin und dazu arbeite.
Nun ist es in der Regel eh nicht normal, was passiert, wenn man in einem Krankenhaus arbeitetet, doch nach allem was ich schon erlebt habe,
fand ich es wieder überraschend, was jener Freitag im Januar für mich bereithielt.
Was mache ich mit einem jungen Mann, der plötzlich Luft schnappend im Bett sitzt und grau im Gesicht ist?
Leider (wie meistens) kein Bekannter, ich tappe also von Informationbrocken zu Informationsbrocken: Junger Mann, mit Wassereinlagerung im Herzbeutel (Perikarderguss) mehr wusste ich nicht.
Das wäre lebensbedrohlich, schnelles Handeln ist angesagt!
Gut, der Blutdruck ist mit 140/90 (in Millimetern auf der Quecksilbersäule) stabil. Ein Zeichen dafür, dass keine hochgradige Einengung des Herzbeutels durch den Erguss bestehen kann, sonst wäre keine ausreichende Auswurfleistung (Ejektionsfraktion) vorhanden, der Blutdruck müßte abfallen.
Wie ist die Lunge selbst? Ich höre mit dem Stetoskop Giemen und Brummen (so hört sich das an) über der gesamten Lungen (alle Lungenfelder)- die Lunge ist „spastisch“- ein Asthmaanfall!
Nun ist schnell eine Frage zu klären: wie viel Sauerstoff kommt im Blut an? Das würde zeigen, ob eine hochgradige Einschränkung der Lungenfunktion vorliegt und somit eine künstliche Beatmung (Intubation) notwendig wird. Der Mann ist grau, schnappt schwer und schwitzt, ich mache mehrere Dinge gleichzeitig: eine Verweilnadel (Flexüle) in die Armvene legen: über diese verabreiche ich: hochdosiert Prednisolon intravenös über die Nadel (Cortison dämpft das Immunsystem bei Asthma schnell) und eine Diuretikum (Furosemid), falls doch mehr Wasser in der Lunge und im Herzbeutel ist, wird nun schnell die Ausscheidung aktiviert, falls nicht, schadet es nicht.
Gleichzeitig lasse ich den Mann inhalieren: mit Bronchodilatatoren (Betamimetika), diese dehnen die Alveolen (Lungenbläschen) um die Lunge besser mit Sauerstoff zu versorgen.
In der folgenden Minute steche ich dem Mann in die Pulsader (Arteria radialis) um eine Blutprobe des arteriellen Blutes (sauerstoffreich) bestimmen zu können.
Zu guter Letzt bekommt der Patient noch eine Beruhigungstablette (Benzodiazepin), dass lässt die Panik ertragen und erzeugt eine verlangsamt und damit effektivere Atmung.
Die Nachtschwester bringt die Blutgasanalyse ins Labor, ich halte dem Patienten die Hand und kontrolliere Atmung und Puls. Ich spreche mit dem Patienten, langsam und ruhig, verfolge die Reaktionen. Ich bin auf alles eingestellt, falls es eine Herzbeuteltamponade ist, kann jederzeit ein Herzstillstand eintreten.
Die Blutgasanalyse ist zurück: alle Gaswerte liegt im Normbereich. Langsam erholt sich der Patient, die Atmung wird ruhiger, er reagiert normal, scherzt sogar wieder… Uff, es war ein Asthmaanfall, die Medikamente haben schnell gewirkt.
Nicht viel später schläft der Mann tief und fest und träumt schon von der nächsten Zigarette… so ist das Leben.
Aber das war nur eine halbe Stunde einer langen Nacht, und ständig klingelt das Diensthandy. Auf der Station ist eine Patientin verstorben. Eine Leichenschau ist nötig.
Diesmal wusste ich von der Dienstbesprechung, dass diese Patientin schon seit Tagen im schlechteren Allgemeinzustand ist, die letzten Tage dämmerte sie bereits im Koma, bei einer schweren Grunderkrankung und mit hohem Alter.
Ein menschenwürdiges Sterben wird immer versucht, bei dieser Patientin war fast zu jeder Zeit die beste Freundin am Bett anwesend. Auch in der Todesstunde der besten Freundin konnte sie die Hand halten. Ein großes Geschenk, gleichzeitig eine schwere Bürde. Die Freundin wünschte sich noch eine Moment der Gemeinsamkeit vor der Vorbereitung für das Beerdigungsinstitut.
Ich warte eine Viertelstunde, dann rief die Station erneut an: ich soll sofort kommen, die Freundin der Verstorbenen hat eine schwere Attacke! Als ich kam lag die Freundin fast auf dem Boden, von den Pflegekräften nur mit Mühe gehalten: Der Blutdruck ist kaum messbar und die Frau hat schon lange schwere Schilddrüsenprobleme! Die Frau zitterte am ganzen Körper. Was zuerst? Ich gehe auf die Frau zu, rede mit Ihr, frage sie nach Ihrem Namen, nehme beide Hände in die Hand. Ich spüre ein krampfartiges Zittern, welches sich verändert, wenn ich spreche, ich rede weiter, suche nun Augenkontakt, halte sie ganz fest. Ich bin nun sicher: es ist ein psychogener Anfall, wie diese Frau dieser Sterbeprozess belastet haben muss, wird mir nun richtig bewusst. Ich gebe eine Beruhigungstablette, meine Anwesenheit allein macht schon viel aus, aber wenn ich gehe kann es erneut losgehen. Tatsächlich rede ich mit Ihr über die Belastung und das ich ihre Treue zu der Freundin bewundere, dass ich aber auch glaube, dass sie ihre eigene Gesundheit vernachlässigt hat in den letzten Tagen und auch nicht richtig gegessen und getrunken hat. Sie bejaht dieses und wird ruhig, lächelt wieder, lässt sich in ein Bett legen. Welcher Umstand sie zu dieser schon selbstzerstörerischen Treue gebracht hat, wird nur sie selbst wissen, vielleicht ist nun alles gut. Sie kann den Tod der Freundin als Erlösung nach jahrelanger schwerer Krankheit akzeptieren, langsam kommt eine Erleichterung auf. Ich sage Ihr, dass sie hier schlafen kann, sich erholen kann, ich gehe weiter und sage nun : „Spüren Sie, wie ihr Körper ganz schwer wird, wie er immer tiefer in die Matratze sinkt? Alles um sie herum ist weich und umhüllt sie warm…“ Das Zittern verschwindet, bei der nächsten Kontrolle schläft sie tief und fest.
Wieder eine halbe Stunde vergangen.
Ich habe das Gefühl, es sind bereits 3 Tage.
Der nächste Anruf kommt aus der Notaufnahme: Eine Patientin ist eingeliefert worden, 40 Schlaftabletten (Intoxikation) hat sie eingenommen, sie wollte nicht mehr leben (suizidale Absicht). Ich bin auf dem Weg.
Die Patientin ist klein und dünn (leider schlecht bei großer Menge an Tabletten), sie hat zusätzlich Alkohol getrunken (verstärkt die Wirkung). Das gute: sie hat schnell die Feuerwehr informiert, sie ist wach, ansprechbar, kreislaufstabil. Da die Einnahme eine halbe Stunde her ist, und die Patientin wach und kooperativ ist, lege ich eine Magensonde und ohne weitere Maßnahmen, kommt der aktuelle Mageninhalt über die Magensonde zum Vorschein. Der Vorteil, falls noch Tabletten nicht resorbiert waren, sind diese nun raus, durch die Magensonde kann die Patientin schwerer den Mageninhalt in die Lunge bekommen. Diese Massnahmen wäre nicht bei einer komatösen Patientin angezeigt, da diese sich „verschlucken“ könnte (aspirieren –Magensaft in der Lunge löst u.a. Lungenentzündungen aus). Weiterhin bekommt die Patientin Aktivkohle, die noch Tabletten im Verdauungstrakt binden kann und so ein Anfluten ins Blut verhindert. Weiterhin bekommt die Frau Infusionen (Tröpfe) mit zuckerhaltiger Flüssigkeit (5% Glucose i.v.) intravenös (stabilisiert den Kreislauf und den Blutzuckerkreislauf). Immer bei solchen Vorfällen wird der Giftnotruf informiert, die Patientin muss überwacht werden, es könnten noch Atemstillstand und Kreislaufzusammenbruch drohen.
Im folgenden Gespräch distanziert sich die Patientin von der Selbstmordabsicht, leider gibt es bereits eine Vorgeschichte mit Selbstmordversuchen, es besteht eine akute Belastungssituation mit Tod der Mutter und Arbeitsverlust. Wenn die Patientin ausgeschlafen hat wird ein Psychiater eine Begutachtung vornehmen und die Entlassungsfähigkeit von Seiten der Psyche einschätzen.
Und weiter ging es in der Nacht…
Auf der oberen Station wird gerufen, seit einer Stunde erbricht die Patientin schon braunen Schleim. Nun sind sich die Schwestern sicher: der braune Schleim wird immer mehr rot- eine Magenblutung! Auf dem präsentierten Handtuch sind eindeutig Blutspuren, fast fröhlich erzählt die betagte Patientin bereits früher Magenblutung gehabt zu haben… Um es mal abzukürzen, bald ist klar, dass noch ein stabilere Kreislauf besteht, anhand der ausreichenden Anzahl roter Blutkörperchen (Erythrozyten) ist eine schwere Blutung unwahrscheinlich, die Magenspiegelung kann am nächsten Morgen stattfinden.
Inzwischen ist trotz frühster Morgenstunde bereits wieder einige Kundschaft in der Notaufnahme: der Alkoholiker, der in seinem Zustand vor 2 Stunden noch drei Feuerwehrleute verprügeln wollt ist höflich und zuvorkommend und vor allem ruhig.
…Der Mann mit den schwersten Brustschmerzen („das ist das Herz“) der nach eigenem Befinden vermeinte einen Herzinfarkt zu haben, ist sich nach gründlicher Untersuchung und normalem EKG und Blutwerten nun auch der Überzeugung sich einen Nerv eingeklemmt zu haben- und so war es auch!
Und verlässt nach Schmerztherapie zufrieden die Notaufnahme.
Zwei Frauen kamen mit schweren Oberbauchschmerzen, nach Schmerztherapie und Untersuchung ist die Wahrscheinlichkeit hoch: eine Patientin hat eine erneute Gallenkolik und eine leider eine Magen-Darmgrippe. Beide gehen ohne Schmerzen und sehr zufrieden wieder nach Hause.
Viele kleiner Zwischenfälle der Nacht, die ich heute nicht erwähne, werde ich schnell vergessen haben, die schnell hintereinander folgenden extrem unterschiedlichen Notfälle aber sicher so bald nicht.
4 Kommentare:
Mir ist schlecht!
Habe ich zu detailgetreu geschrieben? Eigentlich sind die realen Bilder dazu sicherlich beeindruckender, ich habe es durch Illustrationen etwas einfacher und verdaulicher machen wollen. Aber mal ehrlich: bei der Arbeit wird einem nicht schlecht, dazu ist es zu ernst und man ist 100%ig aktiv und dadurch unempfindlich. Die Nachgedanken bringen es dann erst hoch. Nach dieser Nacht habe ich aber tief geschlafen, erstens weil es so anstrengend war, zweitens weil alles geschafft war. Aber es gibt auch andere Nächte....
Darauf hat die Welt gewartet ein Arztroman aus dem wahren Leben. Gerade die Detailtreue bringt die Plastizität, die der Schundliteratur so oft fehlt.
Aber wo sind die Flirts, Intrigen und Machenschaften in Deinem Krankenhaus?
Stimmt! Die habe ich noch unterschlagen, da kommt dann wirklich kein Schundroman mehr mit (z.B. die Geschichte, wie ein Kollege hinter dem Rücken aller versucht ein MVZ aufzubauen!) Und die Krankenhausbeziehungen... Ohne Ende Anlass für viele viele Geschichten... Da muss ich mal dranbleiben! Danke für den Hinweis.
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